Elon Musk ist umstritten. Weil er einfach das macht, was er für richtig hält?
Der Anfang war so wunderbar unschuldig. Auf Twitter trafen sich Eingeweihte. Menschen, die es faszinierend fanden, was man mit digitaler Technik und dem Smartphone alles anstellen konnte. Menschen, die es spannend fanden, einen virtuellen Marktplatz mit persönlichen Kurznachrichten an alle anderen zu bespielen. Das war damals so ungewöhnlich und neu, dass das SZ-Magazin ausgewählte Tweets von mir abdruckte: „Frank Schmiechen, 45, ist stellv. Chefredakteur der ,Welt Kompakt‘ und einer der ersten Journalisten, der sein Leben und Arbeiten auf Twitter dokumentierte.“
Die Tweets eines Journalisten der WELT (2009 arbeitete ich noch bei Axel Springer) abgedruckt bei der Konkurrenz. Ja, das ging damals. Aus heutiger Sicht klingt es verrückt. Aber für einen kurzen Moment sah es tatsächlich so aus, als ob auf dem Twitter-Planeten über alle irdischen Grenzen hinweg kommuniziert werden könnte. Es war ein sehr kurzer Moment. Dann verhärteten sich die Fronten. Man zog sich auch auf Twitter in seine ideologischen Schützengräben zurück.
Inzwischen wird Twitter von Politikern, Medien, Unternehmen, Journalisten, Maschinen, Regierungen, Institutionen, Ralf Stegner, Geheimdiensten, russischen Bots, ganz normalen Leuten und ganz normalen Durchgeknallten bespielt. Deshalb ist es wichtig, obwohl es kein Massenmedium ist. Twitter lesen und bespielen gehört zur täglichen Routine im vorpolitischen und vormedialen Raum. „Hey, kannst du das mal eben twittern?“ Augenrollen. Trotzdem ist der Kerngedanke des digitalen Mediums offenbar immer noch nicht verstanden worden. Das zeigt sich an der aktuellen Diskussion um den neuen Eigentümer des Netzwerkes Elon Musk.
Es stellen sich bis heute zwei zentrale Fragen: Wer ist verantwortlich für die Inhalte in den sozialen Netzwerken? Und was darf gesagt werden?
Bei traditionellen Medium ist die Sache klar. Der Chefredakteur. Er bestimmt, was publiziert wird und was nicht. In sozialen Netzwerken ist das anders. Hier wird den Nutzern eine Plattform zur Verfügung gestellt, auf der sie ihre Inhalte selber publizieren können, Beiträge konsumieren können oder beides. Gesagt werden kann alles. Auch der größte anzunehmende Unsinn. Wenn er nicht gegen Gesetze verstößt. Oder es kann gar nichts gesagt werden – das ist die Entscheidung des Eigentümers.
Jede Nutzerinnen und jeder Nutzer baut sich aus dieser Kakophonie ein eigenes Twitter. Es ist unsere ganz persönliche Entscheidung, welche Inhalte wir zur Kenntnis nehmen und welche nicht. Ebenso entscheiden wir selber, was wir publizieren und was nicht. Alle sind Chefredakteure. Diese digitale Freiheit kommt wie jede Freiheit mit Verantwortung. Aber nicht jeder Nutzer ist bereit, diese Verantwortung zu tragen. Viele sehnen sich nach einer Instanz, nach einem Chef, der die Dinge für sie regelt und für ein porentief reines Twitter-Erlebnis sorgt.
Mark Zuckerberg hat entschieden, dieser Sehnsucht nachzugeben. Er hat angekündigt, sich in Zukunft mehr darum zu kümmern, welche Inhalte auf seiner Plattform Facebook veröffentlicht werden. Doch Elon Musk wird diese Sehnsucht nach Regulierung nicht befriedigen. Im Gegenteil. Er steht für einen Kurs, der den Twitterianern noch mehr eigene Verantwortung zutraut. Das löst bei vielen Nutzern in Deutschland Wut und Enttäuschung aus. Außerdem will er das hochverschuldete Unternehmen Twitter schnell profitabel machen. Das kommt auch nicht richtig gut an, weil sehr viele Angestellte entlassen werden. Die Entlassungen bei deutschen Unternehmen oder beim Mutterkonzern von Facebook, Meta, finden übrigens nicht halb so viel Beachtung.
Im Kern dreht sich die Diskussion über Twitter aber um das Thema Meinungsfreiheit. Die stellvertretende ZDF-Chefredakteurin Anne Gellinek spricht für viele Musk-Kritiker, wenn sie befürchtet, Musk könne „die Grenzen des Sagbaren erweitern“. Viele Twitter-Nutzer in Deutschland sehnen sich offenbar nach einer Instanz, die für sie darauf achtet, dass das „Unsagbare“ nicht publiziert wird. Menschlich verständlich. Aber nicht zu Ende gedacht. Denn die entscheidende Fragen ist: Wer bestimmt, was dieses „Unsagbare“ sein soll. Wer entscheidet, was nicht gesagt werden darf? Ja, das Recht auf freie Meinungsäußerung ist in vielen Fällen schmerzhaft. Doch diesen Schmerz müssen wir als freie Gesellschaft aushalten.
Musk macht mir als langjähriger Twitterianer überhaupt keine Angst. Was ich für viel bedenklicher halte ist, dass die Grenze des Unsagbaren für viele Twitter-Nutzer nicht erst dort anfängt, wo jemand gegen Gesetze verstößt, sondern oft bereits dort, wo ihre eigene Meinung aufhört.
Foto: Flickr / Daniel Oberhaus