Immer wieder gerne behauptet. Immer wieder gerne als populistische Nebelgranate in die Diskussion geworfen. Auch in der Debatte um das Corona-Virus: Die Medien sind schuld! Ganz klar. Oder wenn Wortakrobaten sich zu Wort melden etwas feinsinniger, aber genau so falsch: Die Medien sind hochinfektiös!
Irgendwer muss ja schuld sein, dass viele Leute Panik schieben und sich um Klopapier schlagen! Obwohl das Coronavirus nicht gefährlicher ist als eine ganz normale Grippe.
“Die Medien” sind ein dankbarer Sündenbock.
Denn “die Medien” können sich gegen Vorwürfe nur schlecht wehren. Und das dankbare Publikum klatscht freudig erregt, wenn endlich ein Schuldiger für den ganzen Schlamassel gefunden ist. Es hatte schon immer vermutet, dass die Medien an allem schuld sind, was nicht schon die Politiker verbockt haben.
Mal ganz nüchtern. Ausnahmsweise. Medien haben die Aufgabe zu berichten. Auch über Corona. Als fleißiger Leser ist man inzwischen Virologe, Pandemie-Experte, vertraut mit Übertragungswegen und globalen Wirtschaftskreisläufen. Außerdem ist nach all den Jahren endlich aufgeklärt, wie man sich richtig die Hände wäscht.
- Wenn in Italien ganze Regionen und Städte gesperrt werden, sind nicht “die Medien” schuld. Eher “die Italiener”, die sich etwas spät um die Problematik gekümmert haben.
- Wenn in Berlin-Schöneberg das Klopapier ausverkauft ist, sind auch nicht die Medien schuld. Sondern die Kunden, die die falschen Schlussfolgerungen aus der Lektüre ihrer Zeitung gezogen haben.
- Wenn mich jedes Hüsteln in der U-Bahn zum Alleinreisenden macht, dann ist das sehr praktisch im morgendlichen Berufsverkehr. Aber nicht die Schuld der Medien.
Eigentlich werden die Leser und Nutzer beschimpft
Experten und Wissenschaftler behaupten immer gerne unter Applaus, dass Sachverhalte in “den Medien” verzerrt oder verkürzt dargestellt werden. Klar. Zeitungen und Nachrichten-Websites sind keine wissenschaftliche Grundlagenforschung. Sie haben die Aufgabe komplizierte Sachverhalte auf das zu verkürzen, was für ihre Leserschaft relevant ist.
Auch wenn es für die Medienbeschimpfenden schwer vorstellbar ist: Leser haben einen klugen Kopf. Die meisten jedenfalls. Sie informieren sich und ziehen ihre eigenen Schlüsse aus dem Gelesenen. Wenn “die Medien” als Quelle der überzogenen Reaktionen auf eine nicht existente Bedrohungslage ausgemacht werden, dann werden eigentlich ihre Nutzer und Leser beschimpft.
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Nachtrag nach dem Mittagstisch: Ich vergaß. Noch schlimmer als die klassischen Medien ist in den Augen der Medienbeschimpfer und – beschimpferinnen natürlich Social Media. Noch infektiöser. Noch gefährlicher. Und es gibt noch mehr Beifall, wenn man in Interviews die Gefährlichkeit von “Twitter und Co.” erwähnt. Kleiner Tipp: Mal Hashtag #corona in die Twitter-Suche eingeben. Panikmache? Null. Die meisten Einträge beschäftigen sich – richtig! – mit der vermuteten Panikmache der Medien…