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Kinder, Ratten und warum wir mehr Verunsicherung brauchen

Herr Böhmermann in einer seiner Erfolgsrollen – als Herr Böhmermann

Die Begriffe „Rollenprosa“, „literarisches Ich“ oder „künstlerische Freiheit“ haben mittlerweile ein schlechtes Image. Ich weiß. Ist mir aber egal. Wird schon wieder. Das macht sie nicht falscher. Die aktuelle Debatte um Ratten, Kinder und Herrn Böhmermann zeigt, dass viele kluge Menschen, ein Problem mit diesen Begriffen haben. Das Problem lässt sich meiner Erfahrung nach auch gar nicht aufklären. Trotzdem muss es gesagt werden:

Der TV-Unterhalter Böhmermann verzapft jede Menge unerträglichen Blödsinn. Seine moralinsauere, unlustige Schlaumeierei kann ich nicht ertragen. Aber: Kinder und Ratten hat er nicht verglichen.

Wer sich den oft kommentierten Video-Ausschnitt (siehe unten) aus seiner Sendung ansieht, muss doch sofort bemerken, dass er sich über Leute lustig macht, die Kinder und Ratten vergleichen. Er trägt eine Position vor, die nicht seine eigene ist. Im Idiom der Leute, die er verspotten will. So macht das übrigens auch die Kabarettistin und Autorin Lisa Eckhart. Und sie hat das gleiche Problem wie Böhmermann: Sie wird bewusst mißverstanden, weil das Missverständnis gerade so schön in die Gefühlswelt der meisten Meinungsinhaber passt.

Lisa Eckhart ist natürlich keine Antisemitin. Sie führt Antisemitismus vor. Das muss nicht jedem gefallen. Böhmermann vergleicht nicht Kinder und Ratten, er führt eine Person vor, die Kinder und Ratten vergleicht. Das muss auch nicht jedem gefallen. Doch der allgemeine Aufschrei zeigt, dass wir in Zeiten leben, in denen offenbar immer weniger Menschen bereit sind, nur einmal kurz um die nächste Ecke zu denken. Schwarzer Humor ist abgeschafft. Die Dialektik liegt blutend am Boden. Ja, sogar der gutmütige Harald Schmidt gilt inzwischen als gefährlich.

Die Sex Pistols haben manchmal Hakenkreuze getragen, waren aber keine Nazis. Der Roman „Schuld und Sühne“ von Dostojewski ist keine Aufforderung, einen Mord zu begehen, weil man ohne Strafe davonkommen könnte. Die Band „Deutsch Amerikanische Freundschaft“ wollte nicht, dass wir mit Adolf Hitler tanzen als sie sang: „Tanz den Adolf Hitler.“ Und Ingo Insterburg hatte gar kein Mädchen in den Niederlanden, dessen Kleider sie nie mehr wiederfanden. Irre, oder?

Warum müssen heute die Kunst, Literatur, Straßennamen, Denkmäler, unsere Sprache, Zeitungsartikel oder Fernsehunterhaltung porentief rein sein? So flach wie die norddeutsche Tiefebene. Damit ja niemand auf falsche Gedanken kommt? Damit jeder Idiot sofort versteht, was richtig ist und was gemeint ist?

Ich fordere mehr Verunsicherung! Was nicht verunsichert, ist künstlerisch wertvoll wie der Bergdoktor, intellektuell herausfordernd wie Helene Fischer. Wenn wir uns immer sicher sein wollen und schon Böhmermann mit seiner geistigen Ödnis, die Satire sein soll, eine Überforderung darstellt, ist es an der Zeit endlich zu Hause zu bleiben. Man könnte etwas kochen. Oder eine Runde Karten spielen. Das Bad müsste mal wieder geputzt werden. Das beruhigt ungemein.

Foto: Marco Verch

 

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