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Mein Freund, der Karl

Der Journalist (links) und der Herr Minister (rechts). Man hat volles Verständnis.

„Konfrontation“ steht drüber. Ich habe extra nochmal nachgeschaut. „Konfrontation.“ Doch was der Spiegel-Journalist Markus Feldenkirchen unter dieser Rubrik in der ARD ablieferte war eher eine Hommage an den Gesundheitsminister als eine Gegenüberstellung nicht übereinstimmender Personen, Meinungen und Sachverhalten. „Karl Lauterbach, menschlich gesehen.“ Das hätte vielleicht besser gepasst. Oder: „Mein Freund, der Karl.“ Mehr Werbung für einen amtierenden Minister hat es in den deutschen Medien wahrscheinlich noch nie gegeben. Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern.

Karl Lauterbach ist einer der wichtigsten Politiker Deutschlands. Zumindest war er das bis zum Einmarsch der Russen in die Ukraine. Er gilt als Instanz in Sachen Corona. Was er sagt, denkt und macht, beeinflusst das tägliche Leben von 80 Millionen Deutschen: Rodler, Lagerfeuer-Fans, Kinder an der Eisdiele und in der Schule, Menschen, die abends noch schnell einen Spaziergang machen wollen, Shopping-Fans, Glühweintrinker, Chorsängerinnen, Lehrer, Home-Office-Angestellte, Ärzte und Pflegekräfte, Sterbende, Gebärende, Restaurantbesitzer, Kinobetreiber. Jeder ist betroffen.

Deshalb wäre Lauterbach in normalen Zeiten das Ziel eines besonders kritischen Journalismus. Denn der soll den Mächtigen auf die Finger gucken. So war das jedenfalls mal. Ich habe mich in den vergangenen Monaten häufiger gefragt, weshalb der deutsche Gesundheitsminister so glimpflich davon kommt. Selten wird er journalistisch in die Mangel genommen. Samthandschuhe statt knallharte Recherche sind angesagt. Da hat es zum Beispiel Andreas Scheuer deutlich schwerer gehabt. Woran liegt das?

Die ARD-Sendung „Konfrontation. Markus Feldkirchen trifft Karl Lauterbach“ liefert Anschauung für einen Journalismus, dem die Maßstäbe verrutscht sind.

Wir treffen den privaten Karl Lauterbach. So wird die Reportage zumindest inszeniert. Er wird als Außenseiter und Seiteneinsteiger präsentiert. Er sei kein Kumpeltyp, heißt es. Unterschwellig lernen wir gleich zu Beginn: Der Mann ist etwas sperrig. Ok. Aber ein Supertyp. In diesem  Stil geht es weiter: In seinen Konferenzen hagele es Abkürzungen und Fachtermini. Alles sei superkompliziert. Aber der Minister stecke „knietief im Stoff“, heißt es. Dann kümmere er sich noch um sein „Sorgenkind RKI“. Aber danach habe er endlich Zeit, Studien zu lesen. Zu nachtschlafender Zeit. Das sind dann die Erkenntnisse, die wir auf Twitter genießen dürfen. Hin und wieder liest Lauterbach offenbar etwas zu schnell und zu spät. Danach wird aber nicht gefragt.

Ich bleibe dran. Irgendwann muss es doch eine kritische Frage geben. Aber erstmal wird erzählt, dass Lauterbach nur wenig schläft. Das gilt immer noch als Ausweis von Tüchtigkeit in unserem Land. Aber Lauterbach sei nicht nur in der Lage, die Corona-Thematik zu durchdringen, sondern auch noch zu managen. Das könnten nicht alle Minister, heißt es. Es wolle „alles genau verstehen“ und dann schafft er es auch noch, das Gelernte in praktische Politik umzusetzen, erzählt Markus Feldenkirchen dem staunenden Zuschauer.

Alle wissen, dass Lauterbach gerne in Talkshows geht. Das wird ihm häufig vorgeworfen. Doch Feldenkirchen wirbt um Verständnis. Er tut es für uns. Und Styling brauche der Minister nicht. „Seine Eitelkeit ist inhaltlicher Natur“, sagt Feldenkirchen. Lauterbach-Kritik sei ein neues Genre in der Öffentlichkeit, erklärt er weiter. Bis zu ihm hat sich dieser Trend offenbar noch nicht herumgesprochen. Dafür fragt der Spiegel-Journalist freundlich nach, in welcher Talkshow es das beste Buffet gäbe. Für die einzige inhaltliche Kritik der ersten 45 Minuten, schickt Feldenkirchen WELT-Redakteurin Anna Schneider per Video-Einspieler vor. Danach bekommt Lauterbach noch Gelegenheit, seine Kompromisse in Sachen Hotspots und Impfpflicht zu erklären. Und schmallippig zuzugeben, dass er hin und wieder etwas vorschnell seine Schlüsse zieht.

Lauterbach lebt unter größten Sicherheitsvorkehrungen. Es gibt Aggressionen und Drohungen gegen ihn. Nicht bei allen Deutschen ist er beliebt. Leider kommt das bei vielen Personen vor, die in der Öffentlichkeit stehen. Trotzdem: Die Aufgabe des Journalismus ist es nicht, einen mächtigen Minister zu beschützen. ARD und Spiegel haben es in den vergangenen zwei Jahren nicht geschafft, die Corona-Pandemie angemessen kritisch zu begleiten. Das ist auch ein Grund dafür, dass Kritik an Lauterbach, an Maßnahmen, an Daten und Zahlen, an Auslegungen von Studien bestraft wird. Viel zu schnell landen Zweifler in der rechten Ecke oder werden als Querdenker denunziert. Diesem Vorwurf werden sich Markus Feldenkirchen und die ARD nach dieser Sendung nicht aussetzen müssen.

 

Foto: Screenshot / ARD

 

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