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Wie der SPIEGEL Demonstranten pauschal in die rechte Ecke stellt

Gleich in der Unterzeile des SPIEGEL-Artikels geht es los. Dort steht:

„Die Demonstranten geben sich bürgerlich, doch vielerorts stecken Rechtsradikale hinter den sogenannten Spaziergängern gegen die Regierungsmaßnahmen.“

Sie „geben sich bürgerlich“. Übersetzt heißt das: Die bieder erscheinenden Demonstranten sind in Wirklichkeit verkleidete Radikale. Diese Behauptung zieht sich durch den kompletten Artikel der SPIEGEL-Autoren Maik Baumgarten und Ann-Katrin Müller. Einen Beleg dafür liefern sie nicht. Lediglich den Hinweis, dass die „sogenannten Spaziergänge“ oft von Radikalen organisiert werden.

Es mag ja sein, dass Rechtsradikale hinter den Veranstaltungen stecken – aber welche Aussagekraft hat das über die Gesinnung der Teilnehmer?

Gleich im ersten Absatz des Textes wird geraunt: Hunderte Menschen ziehen durch die Straßen Erfurts, „die meisten unauffällig gekleidet“. So machen sie sich natürlich hochgradig verdächtig. Wie in der Unterzeile insinuiert, stecken in diesen unauffälligen Verkleidungen bestimmt Rechtsradikale. Oder könnte es vielleicht sein, dass es sich bei den Unauffälligen einfach nur um unauffällige Bürger handelt? Nächster Satz: „Sie wollen bürgerlich wirken.“ Mein Verdacht: Viele sind bürgerlich.

Aber das will der SPIEGEL nicht so genau wissen. Einen Reporter haben sie offenbar nicht auf die Straße geschickt. Man ersetzt Anschauung durch Theorie, die in die eigene Ideologie und Erzählung passt: Maßnahmenkritiker sind in Wahrheit von Rechtsradikalen oder Verschwörungstheoretiker gesteuert.

Viele „Spaziergänge“ werden in digitalen Netzwerken organisiert. Viele sind von Gewalt und Ausschreitungen begleitet. Die Organisatoren gehören oft wenig appetitliche Gruppierungen an. Auch Verschwörungstheoretiker, Identitäre oder Rechtsaußen spazieren mit. Das hält aber offenbar eine Gruppe von ganz normalen Bürgern nicht davon ab, an diesen Veranstaltungen teilzunehmen. Es gibt ein dringendes Bedürfnis nach zwei Jahren Pandemie der eigenen Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen. Da nimmt man es sogar in Kauf, dass man von Medien wie dem SPIEGEL ungeprüft mit Radikalen in einen Topf geworfen wird.

Statt alle Spaziergänger pauschal zu Radikalen zu erklären, könnte sich die Medien mit den Kritikern inhaltlich auseinandersetzen. Die zahlreichen berechtigten Sorgen und Einwände gegen staatliche Maßnahmen hätten es verdient. Stattdessen wird durch Texte wie diesen der Eindruck verbreitet, mit jeder Kritik und mit jedem Einwand gegen staatliche Maßnahme unterstütze man Strategien von Rechtsradikalen und Querdenkern.

Von den Organisatoren einer Veranstaltung auf die Teilnehmer zu schließen, ist schlicht und einfach unseriös. Wer weiß schon ganz genau, wer die Demonstrationen gegen den G8-Gipfel in Hamburg organisiert hat? Dabei war übrigens unter anderem die „Interventionistische Linke“. Sie ist laut Wikipedia „eine vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtete und von diesem als ,linksextremistisch’ eingestufte Organisation“.

Diese Kolumne bezieht sich auch den Text „Rechte Profis“ von Maik Baumgärtner und Ann-Kathrin Müller, erschienen im SPIEGEL, Nr. 3, 15. Januar 2022, Seite 13.

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