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Die gefährlichen Löschungs-Fantasien der Social-Media-Kritiker

Ja. Es gibt einen Haufen Dreck, der in digitalen Netzwerken veröffentlicht wird. Keine Frage. Wer sich gerne mit Verschwörungstheorien, Fake News und sonstigem Unsinn berieseln lässt, findet auf YouTube, Facebook oder Telegramm-Kanälen ein reichhaltiges Angebot. Deshalb fordern viele Social-Media-Kritiker schon lange, die Firmen hinter den Kanälen sollten mehr Verantwortung für Inhalte übernehmen, die auf ihren Plattformen veröffentlicht werden und fragwürdige Inhalte löschen. Doch das ist ein gefährlicher Irrweg.

In den vergangenen Tagen hat die Firma YouTube den Betreibern der Initiative #allesaufdentisch eine Woche lang verboten, neue Videos auf ihren YouTube-Kanal hochzuladen. Der Kanal der Website „Achse des Guten“ wurde komplett aus dem YouTube-Angebot gelöscht. Als Grund gab YouTube „medizinische Fehlinformationen“ oder „Fake News“ an. Auf Qualität oder Wahrheitsgehalt der beiden oben genannten Kanäle will ich an dieser Stelle nicht eingehen. Denn das Problem liegt woanders.

Sie dürfen nicht die Realität redigieren

Ich möchte nicht, dass Technologiefirmen für mich die Entscheidung treffen, was Wahrheit ist oder nicht. Erstens sind Sie inhaltlich gar nicht in der Lage dazu. Zweitens haben sie genug damit zu tun, rechtswidrige Angebote von ihren Plattformen zu entfernen. Denn alles, was gegen geltendes Recht verstößt, gehört dort natürlich nicht hin. Aber wir dürfen den Machern digitaler Plattformen nicht die Erlaubnis erteilen, für uns die Realität zu redigieren, für uns zu entscheiden, was wahr oder falsch ist. Diese Arbeit sollten wir weiter selbst übernehmen.

Am Anfang der Pandemie hieß es, dass Masken nicht gegen das Virus helfen würden. Nach der Logik der Löscher hätte also jedes Video von YouTube getilgt werden müssen, in dem zum Tragen der Maske geraten wurde. Dann gab es Experten, die es für möglich hielten, dass das Virus nicht durch eine Fledermaus, sondern durch ein Labor in die Welt kam. Diese Sicht galt lange als Fake News und hätte gelöscht werden müssen. Inzwischen gilt diese Theorie als diskutabel.

Die Sehnsucht nach der einzigen Wahrheit

Wir müssen begreifen, dass digitalen Plattformen etwas anderes sind als traditionelle Medien. Wir Nutzer tragen die Verantwortung, Unsinn als Unsinn zu erkennen. Wenn wir diese Verantwortung delegieren, delegieren wir unsere Freiheit. Ausgerechnet an die Betreiber von digitalen Plattformen, die ganz andere Interessen haben, als verantwortungsvoll Inhalte zu redigieren.

Der Schlüssel zur Lösung ist nicht das Löschen von Inhalten, sondern mehr Medienkompetenz der Nutzer. Wir lesen seit 150 Jahren Zeitungen. Wir haben gelernt mit diesem Medium umzugehen. YouTube gibt es seit 2005. Twitter seit 2006. Statt diesen Konzernen noch mehr Macht zu geben, müssen wir lernen, sie als das zu sehen, was sie sind. Technologie. Plattformen. Was uns dort präsentiert wird, bestimmt in weiten Teilen ein Algorithmus.

Nutzer brauchen einen kritischen Blick. Ganz egal, ob sie ihre Lieblingszeitung, Netflix, Twitter oder die Tagesschau konsumieren. Es gibt keinen Ort, wo die ungefilterte Wahrheit präsentiert wird. Die Wahrheit setzt sich aus vielen Aspekten zusammen, sie macht Arbeit. Ideologen haben es leicht. Sie glauben an schwarz oder weiß. Alle anderen wissen, dass unsere Welt aus Grauwerten besteht. Und zu diesen Grauwerten gehören jetzt auch Inhalte auf digitalen Plattformen. Die Löschfantasien der Social-Media-Kritiker sind in Wirklichkeit eine Sehnsucht nach einfachen Wahrheiten. Aber die gibt es leider nicht.

Illustration: Esther Vargas

 

 

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